Thu, 15. August 2024 —— 20:15
Fotografinnen und Filmexperiment
Dass Fotografinnen seit der Erfindung des Films Vergnügen daran hatten, die Möglichkeiten beider Medien auszutesten, liegt auf der Hand: Im breiten Spektrum zwischen Dokumentation und Neu-Montage der Welt lag immer die Chance, verkrustete Verhältnisse aufzubrechen. Auch Bild- und Blickverhältnisse. Das Programm präsentiert experimentelle Kurzfilme sowohl von Fotografinnen, die filmisch, als auch von Filmemacherinnen, die fotografisch arbeiten. Darunter sind Künstlerinnen, die in der aktuellen Ausstellung „Stadt der Fotografinnen“ im Historischen Museum Frankfurt vertreten sind, aber auch weitere Frankfurter Akteurinnen. Urbaner Lebensraum, Wohnverhältnisse, Alltag, Forschung, Technik, Körper, Landschaft und Natur, auch die Kamera selbst und ihre Komplizenschaft mit anderen Medien gehen in Spiel und Konzept der Filmexperimente ein.
Kurzfilmprogramm mit Filmen von Ella Bergmann-Michel, Anja Czioska, Milena Gierke, Gisa Hillesheimer, Lilly Lullay, Lilo Mangelsdorff, Laura J. Padgett, Sabine Schöbel, Annegret Soltau und Susa Templin, ca. 90 Min.
Filmprogramm:
Fernseh-Vorspann, BRD 1963. Gestaltung Marta Hoepffner. Digital von MAZ von 16mm, 0:5 Min.
1969 stellte Marta Hoepffner die Trickblende für den Vorspann der Fernsehsendung „Reiseliteratur – Goethes Italienische Reise: Von Karlsbad nach Venedig“ her (SR, 25.04.1969, Redaktion Jürgen Lodemann). Hierfür übertrug sie die durchleuchteten Farbintervalle ihrer kinetischen Collagen, den von ihr so betitelten „variochromatischen Lichtobjekten“ auf die Fernsehtechnik.
Kipho-Film, DE 1925. R: Julius Pinschewer und Guido Seeber. 35mm, 4 Min.
Im Werbefilm „KIPHO“ zur ersten gemeinsamen Großausstellung von Film und Fotografie wird sichtbar, wie schon 1925 beide Techniken auch weiblich besetzt wurden: Im Labor, aber auch hinter der Kamera wurden überwiegend Frauen präsentiert. Deren selbstverständliche Handhabe der Apparaturen diente hier zwar Werbezwecken, traf aber auch einen realen Kern. Die rasante Ausweitung der modernen Arbeitswelt ging Hand in Hand mit dem Zugriff auf fotografische Technologien – und beides verband sich mit dem Emanzipationsinteresse der Frauen.
Ernst May in Frankfurt, D 2019. R: Lilly Lullay. Digital, 3:52 Min.
Dass eine umgeschlagene Seite oder ein neuer Filmkader immer das vorherige Bild verbirgt, sein Nachbild aber mitführt, bringt Lilly Lulay in ihrer Videoarbeit „Ernst May in Frankfurt“ auf den Punkt. Sichtbare Hände legen darin historische und aktuelle Fotos der May-Siedlungen, aus denen sie Teile herausgeschnitten hat, nach und nach übereinander. Durch die versetzten Lücken in den einzelnen Bildern entstehen immer neue Raumanordnungen – und ein kompakter Fotostapel, von dessen Tiefe wir wissen, der aber gleichzeitig undurchsichtig ist. Wie eine Filmrolle.
Wo wohnen alte Leute, D 1931. R: Ella Bergmann-Michel. Digital von 35mm, 13 Min.
Ella Bergmann-Michels Filmarbeit begann in enger Verflechtung mit den Aktivitäten des Neuen Frankfurt. Die Dokumentation des von Mart Stam erbauten Budge-Hauses Wo wohnen alte Leute war ein „Instruktionsfilm“ für den Bau menschengerechter Altersheime, allerdings, wie sie schrieb, „keine zufällige Reportage, keine fotografierte Architektur, sondern Blick in den lebendigen Organismus [...].“ (EBM). Wie schon in ihrer Siedlungsfotografie interessierten sie die Momente der sozialen Begegnung, wie die Bewohner*innen selbst ließ sie sich von den Möglichkeiten und Abweichungen leiten, die die offene Raumgestaltung bot.
Ausblicke I+II, DE 1990. R: Milena Gierke. Digital von Super 8, 3 Min.
Wie ihre eigene Großmutter wohnte, erforschte Milena Gierke 1990 mit ihrer Super 8-Kamera, indem sie aus deren Wohnung heraus das umliegende Frankfurter Westend aufnahm. „Der Blick umfasst Gebäude, den Himmel, Bäume und einen Morgenmantel in einer leichten Sommerbrise, manchmal im Zeitraffer aufgenommen.“ (“M.G., Übersetzung aus dem Engl.) Gierke schneidet in der Kamera: Sie „arbeite(t) so konzentriert wie möglich und komponier(t) in ‚Echtzeit‘, während des Geschehens“.
Keszthely, DE 2012, R: Susa Templin. Digital, 7:51 Min.
Susa Templin hat ein Video realisiert, das in dem alten, nun leerstehenden Haus der Großmutter im ungarischen Keszthely spielt. Schnitt und Montage gehören zu Templins bevorzugten künstlerischen Operationen, so sind daraus – neben Fotografie und Skulptur – auch filmische Bilder hervorgegangen: In dem Film Keszthely entwickelt die Künstlerin eine komplexe Regie der Räume und Blicke, aus der ein Labyrinth visueller Bewegungen entsteht, das verschiedene Stadien von Sichtbarkeit durchläuft. Hier werden die Zimmer zum Schauplatz performativer Handlungen, die sich in schneller Folge um das Zeigen und Verbergen von Räumen und Körpern drehen. Raum für Raum wird das Haus erforscht und mit surrealen Spielhandlungen neu belebt - die Kamera bleibt dabei stets ein stiller Beobachter, der in klaren ruhigen Bildern das Spiel einer Bewohnerin und ihrer Doppelgängerin verfolgt.
Ball, DE 1921. R: Lilo Mangelsdorf. Digital, 2:54 Min.
Lilo Mangelsdorf spielt den Ball aus der Abgeschlossenheit der Wohnverhältnisse wieder zurück in den öffentlichen Raum, und das ganz buchstäblich: „Eskapaden eines Balls. Oder – eine Allegorie vom eingesperrten Menschen in Covidzeiten: wie bei Sisyphos rollt der Ball nach unten und wieder nach oben, mal rot, mal grün – positiv, negativ … ohne Ende, Nur mit Mini-Exkursionen zum Luft schnappen.“ (L.M.)
Taktvolle Zeiten, BRD 1985. R: Gisa Hillesheimer. Digital von 16mm, 3:36 Min.
Gisa Hillesheimer wechselte für ihre Großstadtstudie „Taktvolle Zeiten“ zwischen fließenden Bildern und Einzelbildschaltung. Die stockenden Bildfolgen unterbrechen immer wieder den städtischen Rhythmus, und machen gleichzeitig die gewollte Störung durch das Medium selbst zum Thema. Indem schließlich Rolltreppen wie Bildkader und deren Handläufe wie Perforation in Szene gesetzt werden, wird das Laufbild aus Einzelbildern zum Darsteller.
EZB 2011-2012. Eine Super-8-Untersuchung, D 2014. R: Sabine Schöbel.. Digital von Super 8, 7 Min.
„Parallel zur turbulenten und folgenreichen europäischen Finanzkrise wurde von 2011 an in Frankfurt am Main ein neues Hochhaus für die Europäische Zentralbank errichtet. Der Film basiert auf einer Super8-Langzeitbeobachtung dieser Baustelle. Dem Thema Zeit und Krise nähere ich mich in den Kapiteln "wechselkurs", "slow motion" und "stills". In den "credits" am Ende des 7-minütigen Experimentalfilms kommen noch andere Protagonisten ins Spiel. Und ganz oben auf der goldenen Haube der Rohbautürme winkt unverkennbar eine griechische Fahne.“ (S.Sch.)
Kurze Pause
Ambient Noise, DE 2004. R: Laura J. Padgett. Digital, 1 Min.
Als ‚Miniclip‘ einem 23-minütigen digitalen Loop entnommen, ist „Ambient Noise“ eine Homage an das Erlebnis Kino. Technik, Natur und Körper kommen ins Spiel, die Wechselbeziehung von Innen- und Außenwelt. „In einer Folge von 14 Aufnahmen sehen wir bildfüllende Rollos, die langsam aufsteigen: Im geschlossenen Zustand sehen wir mal gedämpftes Licht, mal Schattenspiele von Bäumen, die draußen stehen. Langsam steigen die "Leinwände" hoch, und das Bild wird farbig, die Außenwelt kommt zum Vorschein, das Bild wird lebendig, was draußen ist, kommt in Sicht. Wir hören Maschinen, Vögel, das Scharren von Füßen oder das Geräusch von Zügen.“ (L.J.P., Übersetzung aus dem Engl.)
Fragment, BRD 1986-1988, R: Laura J. Padgett. 16mm, 2 Min.
Eine Studie über die Beziehung zwischen Sprache, Berührung und Wahrnehmung. Der Film besteht aus Aufnahmen, die in einem Raum entstanden sind. Umkehr- und Negativfilm wurde zusammengeschnitten, um eine Erzählung zu schaffen und gleichzeitig die Qualität des Schwarz-Weiß-Films hervorzuheben. Wir hören geflüsterte Textfetzen, die über den ganzen Film verteilt sind. Sie erzeugen ein Gefühl von Intimität. Das Schattenspiel ist ein Spiel der Hände, geheimnisvoll und doch klar. Das Gesehene ist schemenhaft, das Gehörte nur ein Raunen in einer fremden Sprache, all das wirkt jedoch, löst ein Gefühl aus, widersetzt sich aber genauerer Festlegung.
Fischfang in der Rhön, DE 1932. R: Ella Bergmann-Michel. Digital von 16mm, 10 Min.
„Nur aus direkter Beobachtung“ drehte Ella Bergmann-Michel ihren „dokumentarische(n) Film über einen Spaziergang in der Rhön und Fang von Forellen und Äschen“. „Film-Material: selbst gestellt – ohne Manuskript“, notiert sie zu diesem filmischen Bewusstseinsstrom. In der experimentellen Formgebung liegt auch ein spielerischer Impuls, plätschernd gehen organische und abstrakte Figuren ineinander über, Licht und Schatten bewegen sich buchstäblich wellenförmig. Auch hier bleibt der soziale Zusammenhang im Blick, die Landbewohner*innen aus der Umgebung und ihre Tätigkeiten werden mit in den Bilderfluss geholt.
Einige Orte dazwischen – A Few Spaces Inbetween, DE 2016. R: Laura J. Padgett. Digital, 4 Min.
"A few Spaces in Between" ist ein Film darüber, wie wir über Naturphänomene denken, über unsere Beziehung zum Arbeitsplatz, zu Produktion und Bezahlung sowie über Konzepte der Kontrolle und Grenzziehung.“ Der Found-Footage-Film entdeckt in den Lehrfilmen der 1960er und 1970er Jahre abstrakte und mikroskopische Strukturen, die neue Bedeutungsebenen erschließen, ohne von ihrem ursprünglichen Zusammenhang abzurücken. Szenen von Fließbandarbeit oder von Experimenten in wissenschaftlichen Laboren verweisen auf die technisch-wissenschaftliche Moderne, die uns schon veraltet erscheint. Die Filmbilder entfalten eine historische Dimension, während sie gleichzeitig „als Metaphern dienen, um das Unsichtbare zu beschreiben. Sie veranschaulichen, wie wir Leistungsregeln in der Gesellschaft aufstellen, und zeigen gleichzeitig die Unsicherheit der Stabilität oder das, was wir für selbstverständlich halten. Themen wie Entwicklung, Produktion, Handarbeit, Mobilität, Grenzen und Industrie sowie unser Umgang mit Abfall werden in einen poetischen Fluss aus Bewegung und Formen eingebunden.“ (L.J.P., Übersetzung aus dem Engl.)
KörperLandschaft, BRD 1986-89. R: Annegret Soltau. Digital von U-matic, 8 Min.
„Dieses Video zeigt Körper, die mit synthetischen Farben verschmolzen sind; dies erzeugt Assoziationen von Körperteilen, die von Moos und Natur überwuchert sind, aber gleichzeitig deuten diese Farben auf bedrohliche toxische Materialien hin, die den Körper umgeben. Tonale Varianzen stören zunehmend den Rhythmus; Bildsequenzen werden wiederholt, um Zyklen des Ein- und Ausatmens anzudeuten.“ (Annegret Soltau) Die Bilder bewegen sich zwischen Details des Körpers – die wie abstrakte Landschaften erscheinen – und Teilansichten des Körpers in Bewegung. Das Video untersucht den Körper wie eine Landschaft, die sich über Erhebungen und Senken bewegt.
Viva aviS, BRD 1985. R: Lilo Mangelsdorf. 16mm, 6 Min.
„Ich verstehe Viva aviS als filmische Collage zu dem Satz von Cocteau: „Bilder halten die Zeit nicht fest.“ Realbilder mit Szenen von zerfallenden Gebäuden und inszenierte Szenen sind einzelbildmäßig bearbeitet. Das Material wurde zum Teil zerschnitten, auf Blankfilm geklebt, mittels Video transformiert und mit einer Bolex abgefilmt. So entstand ein dichtes visuelles Geflecht aus den neu strukturierten, medial bearbeiteten Aufnahmen.“ (L.M.) „Um die Spiegelung und das Sehen geht es in Lilo Mangelsdorffs Film Viva-aviS. Das Gesicht einer sich schminkenden Frau wird in schnellen, rhythmischen Montagen und Überblendungen zertrennt und zerschnitten und scheint sich wie in den vielen Brechungen und Facetten eines Kaleidoskops wieder zusammenzufügen. Das sich spiegelnde Gesicht wird zum einen transparent, zum anderen umstellt in seinen Widerspiegelungen – festgehalten und endlos zurückgeworfen. Damit gerät der narzißtische Aspekt des Blicks in den Spiegel, die Möglichkeit einer Eroberung des voyeuristischen Blicks auf sich selbst, in der Distanzierung an eine Grenze: Der Anblick des eigenen Abbilds mündet in ein klaustrophobisches Umstelltsein mit den eigenen Widerspiegelungen und entlarvt die Gewalttätigkeit des Abbildens.“ (Renate Lippert)
Who is Who? An einem Montagmorgen, DE 1982. R: Gisa Hillesheimer. 16mm, 2 Min.
Für den Kurs „Wahrnehmungspsychologie“ während Gisa Hillesheimers Ausbildung an Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach entstand diese bewegte Galerie direkt in die Kamera gerichteter Auftritte von Kommilliton*innen und Mitarbeiter*innen. Am Ort der Ausbildung wird das Spielerische eingefangen, wer sonst hinter der Kamera steht oder den Überblick hält, gerät in den Blick. Das Bild tänzelt um die Mittelachse. Die Kamera hält die Position. 8tung, fertig, fin.
One Pussy Show, DE 1998. R: Anja Czioska. Super 8 auf 16mm, 3 Min.
„In den sieben Minuten der »One Pussy Show« fällt kein einziges Wort. Anja Czioska steht vor der Kamera und zieht ihr Outfit der letzten zehn Jahre an und aus. Seit 1991 ist sie one of »The 3 Pussy Kisses«; in der »One Pussy Show« tanzt sie zu Sixties live, solo, aber nicht allein. Sie wendet sich direkt an die Kamera, also an uns. Wir nehmen keine verbalen Botschaften entgegen, sondern sind direkt angesprochen, körpersprachlich. Das ist ein angenehmer Kontakt, denn Czioska ist unpeinlich, sympathisch, offen.“ (Dietrich Kulbrodt) „Mich interessiert es weniger, Menschen in ihren Kleidern zu filmen. Moden wechseln dauernd – aber wie ein Körper aussieht, das ist einfach spannend. Da kannst Du sehen, ob einer viel Bier trinkt oder Sport treibt. Welche Spuren hinterlässt die Zeit und wie geht jeder damit um?“ (A.C.)
Der Filmabend ist Teil einer Filmreihe zur Ausstellung „Stadt der Fotografinnen“ im Historischen Museum Frankfurt, die in Kooperation von DFF und HMF in beiden Museen stattfindet.
Fotografinnen und Filmexperiment – Kurzfilmprogramm
Eintritt: 10 € / erm. 8 €
Ort: DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Mehr Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.
Anmeldung und Tickets über das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum.
Die Tabelle stellt eine Monatsübersicht über den jeweiligen Monat dar. Die Spalten sind nach Wochentagen aufgeteilt. Die Tage, an denen Veranstaltungen stattfinden, sind verlinkt.
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