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Erfahrungen mit Rassismus der Frauen und Mädchen aus dem Mädchenbüro Milena

Hanau
Wir gedenken heute: Gökhan Gültekin Sedat Gürbüz Said Nesar Hashemi Mercedes Kierpacz Hamza Kurtovic Vili Viorel Paun Fatih Saraçoglu Ferhat Unvar Kaloyan Velkov. Sie wurden vor sechs Monaten Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau. Rassismus war auch das Motiv in Minneapolis. Dort starb der Schwarze US-Bürger Georg Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz. Mit dem Tod von George Floyd sind Millionen von Menschen weltweit auf die Straßen gegangen und haben gegen Rassismus demonstriert. Wir waren auch auf den Demonstrationen in Frankfurt, haben auch auf dem Römer gestanden und uns eingemischt in die Diskussionen. Wir wollen aber nicht nur über Rassismus sprechen, wenn es gerade ein Medienthema ist, sondern daran erinnern, dass „Alltagsverletzungen“ aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion immer und täglich passieren. Es sind die kleinen Stiche im Alltag, wenn man nicht weiß, was man auf Beleidigungen antworten soll. Wenn Leute zuschauen oder zuhören und man nicht weiß, wie man sich verhalten soll. Einige Mädchen und Frauen, die regelmäßig ins Milena kommen, haben uns erzählt, welche alltäglichen Diskriminierungen sie erfahren haben. Für ihren Mut, ihre Geschichten zu erzählen, danken wir ihnen sehr! Hier möchten wir ihre Erfahrungen mit euch teilen.
Ihre Erzählungen haben wir zur Übersicht in folgende Abschnitte aufgeteilt: Sprache, Verzerrtes Afrikabild, Vorurteile und Alltagsverletzungen, Sprechen über Rassismus.

A) Sprache:
„Du gehörst nicht dazu!“
„Immer werde ich gefragt, woher ich komme, und danach folgt die Feststellung: Oh, Sie sprechen aber gut Deutsch. Dann denk ich mir so, wenn Ausländer kein gutes Deutsch sprechen, dann wird es ihnen vorgeworfen, und wenn sie gut Deutsch sprechen, dann gehören sie noch immer nicht dazu.“
„Schwarze sprechen kein Deutsch“
„Wenn Menschen dich auf Englisch ansprechen, weil sie nicht erwarten, dass du Deutsch sprechen kannst. Zum Beispiel auf der Black Lives Matter-Demonstration wurden wir auf Englisch angesprochen und in der nächsten Minute sprach der Mann mit jemand anderem auf Deutsch. Wir waren dann echt baff, dass er Englisch mit uns gesprochen hat, nur weil wir Schwarz sind.“
„Menschen die nicht Deutsch aussehen, sprechen auch kein Deutsch“
„Als ich in der Gastronomie gearbeitet habe, wollte einmal eine Frau etwas bei mir bestellen und die sagte langsam, laut und deutlich: ‚I C H H Ä T T E G E R N E ...‘. Nachdem ich ihr dann auf Deutsch antwortete, sprach sie mit mir normal weiter.“ Und wieder die Sprache "Sie sprechen aber gut Deutsch! Wie lange sind Sie denn schon in Deutschland?“
Auf dem Amt
„Wenn ich zu einem Amt muss und ich spreche kein so gutes Deutsch und trage ein Kopftuch, sind viele Menschen dort sehr unfreundlich zu mir.“

B) Verzerrtes Afrikabild:
„Afrika“
„Warum zeigen die in den Nachrichten immer nur die hässlichen Seiten von Afrika? Afrika hat auch schöne Seiten!“
„Afrika steht für Sklaverei“
„Das Einzige, was ich in der Schule über Afrika gelernt habe, ist zum Thema Sklaverei.“
„Afrika ist arm und bedauernswert“
„Als wir in der 10. Klasse das Thema Afrika hatten, da hat sich meine Cousine mit unseren Mitschülern gestritten. Sie waren der Meinung, dass Afrika arm ist und immer Unterstützung von Anderen bräuchte. Ich rede zum Teil bis heute nicht mehr mit den Leuten, weil sie nicht einsehen wollten, dass das nicht stimmt.“

C) Vorurteile und Alltagsverletzungen:
„Alle Schwarzen sehen gleich aus“
„Als ich draußen mit meiner Klasse rumgelaufen bin, dann ein Schwarzer Mann vorbeigelaufen ist und die so fragten: Ist das dein Vater? Dann denke ich mir: Ist jetzt jeder Schwarze Mann, der in der Gegend herumläuft, mein Vater, oder wie?“
„Flüchtlinge sollten keine Kinder auf die Welt bringen“
„Ich habe vier Kinder und komme aus Syrien. Drei meiner Kinder sind in Deutschland geboren und ich habe bis zur Geburt meines letzten Kindes keine Vorurteile erlebt, weder wegen der Anzahl meiner Kinder noch meiner Herkunft. Aber beim letzten Kind, wurde mir gesagt, dass Flüchtlinge keine Kinder auf die Welt bringen sollen.“
„China-Virus“
„Jetzt in der Coronazeit, gucken einen die Leute noch komischer an als vorher, weil alle denken, dass man als asiatisch aussehender Mensch Corona nach Deutschland gebracht hat. Früher haben die Leute einen argwöhnisch angeschaut, weil sie dachten, dass man entweder eine geldgierige Chinesin sei oder eine Thaiprostituierte. Mehr asiatische Länder kennen die meisten eh nicht.“
Ausstellungsstück
„Die Leute, sollen nicht meine Haare anfassen. Bin ich ein Ausstellungsstück?“
Meine Vorfahren sind aus Ghana
„Bei einer Veranstaltung fragte mich eine Reporterin: Woher kommst du? Da habe ich Deutschland gesagt, und sie meinte: Nee, woher kommen deine Eltern oder deine Vorfahren? Dann antwortete ich: Ghana. Sie meinte nur: Ach so, schön.“
Zuhause
„Meine Mutter arbeitet im Krankenhaus. Eine ältere Patientin fragte meine Mutter: Woher kommst du eigentlich? Sie antwortete: Eritrea. Dann fragte die Frau, wie es in Eritrea sei, und meine Mutter antwortete: Gut. Dann fragte die andere: Wollen Sie nicht wieder nach Hause? Meine Mutter antwortete: Nein, Deutschland ist mein Zuhause.“
Bevormundung
„Ich bin seit neun Jahren in Deutschland, ich komme aus Somalia und trage ein Kopftuch. Ich wurde immer sehr bevormundet und man hat mir nichts zugetraut. Dadurch konnte ich meine Begabung nie für eine Arbeitsstelle nutzen, weil ich mich klein gefühlt habe.“

D) Sprechen über Rassismus:
Schwarze ohne Schwarze
„Was mir auch aufgefallen ist, dass Schwarze Menschen voll wenig repräsentiert sind, egal wo, ob in den Medien als Nachrichtensprecher, ob in Zeitungen als Journalisten. Auf Twitter gab es ne Diskussion über eine Talkshow, deren Thema war Rassismus gegenüber Schwarzen, Menschen in Deutschland, und da war keine Schwarze Person zu sehen. Du redest über Schwarze ohne Schwarze. Es bringt auch nichts, bei sowas nur weiße Menschen einzuladen.“
Schule
„Es sollte mehr in Schulen über Rassismus gesprochen werden. Wir brauchen etwas, was die Strukturen ändert. Punkt.“
Wir sind vielfältig
„Wenn es wieder zur rassistischen Vorfällen in Unternehmen kommt, dann wird immer von den Pressesprechern der Firmen gesagt: Nee, wir sind vielfältig, wir sind das und das (...). Man muss sich immer wieder das Gleiche anhören. Das ist wie Copy & Paste von anderen Unternehmen, die erst letzte Woche eine Rassismus-Debatte hatten. Die da unten, die mit den Menschen arbeiten, sind rassistisch, aber ihr da oben könnt das ja nicht sehen. Das regt mich so auf, weil das immer und immer wieder passiert in diesen Läden und es ändert sich nichts.“
Polizei?
„Es gab doch diesen rassistischen Vorfall in einer Drogerie, mit dieser schwarzen Frau, der ja noch nicht mal von der Polizei geglaubt wurde. Wo ich mir dann denke: Was mache ich, wenn mir sogar die Polizei nicht glaubt. Wen rufe ich dann? Soll ich Merkel anrufen oder wen?“
Ich kann meine Hautfarbe nicht abgelegen
„Bei diesem Gespräch gab es auch eine weiße Frau, deren Freund aus Nigeria ist. Sie meinte, es zeigt doch Toleranz, wenn wir die Sachen von Anderen tragen. Sie trug Ethno-Style-Ohrringe. Dann wurde zu ihr gesagt: Wenn du zu einem Bewerbungsgespräch gehst, kannst du die Ohrringe ablegen und deine Haare aufmachen, dann bist du das ganz „normale“, deutsche Mädchen. Du kriegst dann den Job, die Wohnung etc., aber wenn du so hingehen würdest, bezweifle ich, dass du den Job bekommen würdest. Das ist, was manche Menschen einfach nicht verstehen: Wenn es schlimm wird, kann ich meine Hautfarbe nicht ablegen. Ich kann nicht als Weiße zu einem Bewerbungsgespräch oder zu einer Wohnungsbesichtigung gehen.“
Braids
„Einmal meinte ein Mädchen, dass wenn weiße Menschen Sachen tragen, die zu Schwarzen Menschen gehören, das gut ist, weil es dann normal wird. Da habe ich mich gefragt: Warum wird etwas, was Schwarze Menschen normalerweise tragen, erst normal, wenn es weiße Menschen auch tragen? Oder wenn wir das Thema „Braids“ ansprechen, das ja wegen Kim Kardashian ein Trend geworden ist. Sie hat das vermarket. Dabei gab es Braids schon lange, bevor Kim Kardashian überhaupt auf der Welt war. Ich habe mich so aufgeregt.“

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