Das Prehn-Projekt
Johann Valentin Prehns „Kleines Gemäldekabinett"
Im Jahr 2008 identifizierte Stephan Kemperdick, Kustos für Altniederländische und Altdeutsche Malerei der Berliner Gemäldegalerie, eine kleine Darstellung des Heiligen Josephs aus der Sammlung Prehn als Fragment eines Altars des der Haarlemer Malers Geertgen tot Sint Jans – und sogleich kam die Frage auf, was denn das Prehn’sche Kabinett sonst noch an kunsthistorischen Überraschungen bereithalten könnte. Die Idee eines wissenschaftlichen Bestandskataloges dieser umfangreichen Sammlung kleinformatiger Gemälde aller Schulen und Genres vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert war geboren.Das Erkenntnisinteresse des Projektes ging indes weit über die Entdeckung von einzelnen besonderen Gemälden hinaus. Prehns Miniaturkabinett mit seinen 812 kleinformatigen Bildern in 32 Klappkästen sowie 62 weiteren Ankäufen seines Sohnes Ernst Friedrich Carl ist nämlich ein Glücksfall für die Kunstgeschichte, hat es sich doch in seiner ursprünglichen Zusammensetzung erhalten – im Gegensatz zu etlichen anderen alten Gemäldesammlungen, die als Kernbestand vieler Museen einen langen Ausleseprozess durchlebten und im Sinne eines "Kanons" auf eine als bedeutend erachtete Auswahl reduziert bzw. später mit anderen Werken angereichert wurden. Dabei gingen wertvolle Informationen über die Absichten und Vorlieben der Sammler, über die Zusammensetzung ihrer Sammlungen und die historische Zuschreibungspraxis, über die Hängung der Gemälde und den praktischen Umgang mit ihnen verloren. In Prehns Miniaturkabinett kann man all das exemplarisch studieren und damit Rückschlüsse auch auf andere Gemäldesammlungen der Zeit ziehen.
In dem 2011 vom Historischen Museum Frankfurt in Angriff genommenen, von mehreren Stiftungen (Ernst von Siemens Kunststiftung, Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung für Kunst und Kulturpflege, Rudolf-August Oetker-Stiftung, Hessische Kulturstiftung) geförderten Projekt wurden die 874 Gemälde der Sammlung in zehnjähriger Forschungsarbeit erstmals unter kunstwissenschaftlichen und mal- und materialtechnischen Gesichtspunkten ausführlich untersucht. Dabei wurden die wechselnden älteren Zuschreibungen beginnend vom Auktionskatalog 1829 über Johann David Passavants Verzeichnis von 1843 bis hin zum Museumskatalog von 1988 kritisch unter die Lupe genommen.
Eine weitere aufsehenerregende Entdeckung à la Geertgen hat die Untersuchung der Gemälde des Kabinetts dabei nicht ergeben, war aber auch nicht unbedingt zu erwarten. Viel ergiebiger hingegen sind die Erkenntnisse, dass Prehn in seinem Kabinett – ebenso wie andere, auch prominente Gemäldesammler der Zeit – viele der damals berühmten und gesuchten Künstler mitunter in Originalen, öfter aber in Gemälden ihrer Werkstatt oder aus deren unmittelbarem Umfeld vereinen konnte, dass die Werke vieler Künstler – auch das zeittypisch – in Kopien nach Gemälden, Zeichnungen oder Druckgraphiken vertreten sind, dass kaum oder völlig unbekannte Künstler mit ihren Werken vorkommen und dass Gemälde aus unterschiedlichen Funktionen im künstlerischen Prozess und in der praktischen Verwendung sich gleichberechtigt in seine Bilderenzyklopädie einreihten. Kurz: die Eigenschaften, wegen derer das Prehn’sche Kabinett im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert geringgeschätzt wurde, machen aus heutiger kunsthistorischer Sicht seine besonderen Qualitäten aus.
Publikationen
Prehns Bilderparadies – Die einzigartige Gemäldesammlung eines Konditors der GoethezeitGedruckter Auswahlkatalog mit Aufsätzen, 100 Bildanalysen, Gesamtverzeichnis und Registern, Historisches Museum Frankfurt 2021, 512 S., 48 €, ISBN 978-3-95542-374-2
Online-Datenbank mit ausführlicher technologischer und kunstwissenschaftlicher Analyse aller 874 Gemälde der Miniatursammlung
https://bildersammlung-prehn.de
Gefördert durch
Ernst von Siemens KunststiftungAdolf und Luisa Haeuser-Stifter für Kunst und Kulturpflege
Rudolf-August Oetker-Stiftung
Hessische Kulturstiftung