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Vergessen – Warum wir nicht alles erinnern

7.3.2019 bis 14.7.2019
Sonderausstellung

 
Vergessen. Alle kennen es, jeder tut es. Vergessen ist normal. Mal finden wir es lästig, mal hilfreich und tröstlich, dann wieder problematisch. Wie lässt es sich beschreiben? In einer Sonderausstellung nimmt das Historische Museum Frankfurt es unter die Lupe und denkt damit auch über sich selbst nach, denn Museen sind nicht nur für das Erinnern zuständig.

Warum vergessen wir? Wäre es nicht effektiver, schöner oder besser alles zu erinnern,  zum Beispiel unsere eigene Lebensgeschichte? Unser autobiografisches Gedächtnis ist wählerisch, nicht alles, was in unserem Leben passiert, bleibt haften. Unser Selbstbild filtert das, was wir erinnern – und es vergisst die Erlebnisse, die nicht dazu passen. Schamvolles, Schmerzhaftes und Schmachvolles vergessen wir eher als Freudvolles, Fröhliches und Schmeichelhaftes.

Die vielfältigen Dimensionen des Vergessens sind nur durch eine interdisziplinäre Perspektive zu verstehen. Daher verzahnt die Ausstellung Erkenntnisse aus Sozialwissenschaft, Kulturgeschichte, Neurowissenschaft, Psychoanalyse und Kunst.

„Digitale Amnesie“ beschreibt die zunehmende Auslagerung von Informationen. Vor 20 Jahren konnte jeder von uns noch Telefonnummern auswendig. Heute wählt unser Smartphone für uns diese Nummern. Vergessen wir aber wirklich mehr als Generationen vor uns? Wahrscheinlich nicht, aber unser Vergessen und Erinnern verändert sich mit dem technischem Wandel. Heute halten wir unzählige Momente unseres Lebens mit der Kamera fest. Doch erinnern wir uns deswegen an mehr oder lässt uns die Flut der Fotos mehr vergessen als früher?

Wie das Vergessen funktioniert, erforschten Wissenschaftler schon im 19. Jahrhundert. Die in der Ausstellung gezeigten Instrumente und Modelle aus dem 19. und 20. Jahrhundert führen von den Ursprüngen bis zur heutigen Vergessens-Forschung in der Psychologie und in den Neurowissenschaften.

Ist meine Vergesslichkeit noch normal? Bin ich noch gesund oder schon krank? Das sind Fragen oder Ängste, die uns mit dem Älterwerden beschäftigen. Die Ausstellung vermittelt einen Blick darauf, wie wir als Gesellschaft mit Betroffenen umgehen können, ohne ihre Persönlichkeit aus den Augen zu verlieren, auch wenn diese sich durch die Krankheit stark verändert.

Ein weiterer Aspekt des „zu viel“-Vergessens präsentiert die Ausstellung mit der kollektiven Amnesie des Holocaust im Nachkriegsdeutschland. Viele unserer Eltern, Groß- und Urgroßeltern schwiegen über den Holocaust, verschwiegen ihre eigene Rolle im Dritten Reich. Die Exponate zeigen die Strategien der Abwehr der eigenen Schuld, aber auch den Widerstand gegen das Schweigen, der in die Wiedergründung des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt mündete.

Wie gehen Menschen damit um, wenn sie nicht vergessen können? Um ein Weiterleben nach extrem-traumatischer Erfahrung zu ermöglichen, stellt die Psyche ein fragiles Gleichgewicht her, indem sie die Erinnerung an die Bedrohung des eigenen Lebens vom Ich abspaltet. Sie fragmentiert das traumatische Erleben, speichert es nicht konsistent, im Zusammenhang, sondern vergräbt es in fragmentierter Form. Dies ist eine „gesunde“ Reaktion der Psyche auf eine „kranke“, lebenszerstörende Umwelt. Verschiedene Objekte in der Ausstellung erklären und zeigen solche überlebensnotwendigen Reaktionen der Psyche, wenn man mit etwas lebt, womit man nicht leben kann.

Das letzte Ausstellungskapitel fragt, ob das Vergessen zu überwinden ist und was wir mit Sammlungen eigentlich bewahren. Erinnern uns Denkmäler noch an das, wofür sie errichtet wurden? In diesem Zuge reflektiert das Museum seine eigene Funktion als Ort, an dem Frankfurter Geschichte konstruiert und präsentiert wird.

Auch zeitgenössische Kunstwerke nehmen in der Ausstellung eine zentrale Rolle ein. Sie sind hierbei keine Illustrationen kultur- oder lebenswissenschaftlicher Thesen, sondern eigenständige Erkundungen der Dynamik von Vergessen und Erinnern.
Beteiligte Künstler*innen:
Kader Attia, Christian Boltanski, Jake & Dinos Chapman, Daniela Comani, Tacita Dean, Mark Dion, Sam Durant, Hans-Peter Feldmann, Robert Filliou, Jochen Gerz, Martin Honert, Ilya Kabakov, Christina Kubisch, Boris Lurie, Arwed Messmer, Jana Müller, Adrian Paci, Regis Perray, Maya Schweizer, Tino Sehgal, Sigrid Sigurdsson

Weitere Informationen

Mit einem Klick zur Ausstellungsbroschüre

Gefördert durch die:

Kulturstiftung des Bundes
Ernst Max von Grunelius-Stiftung
Dr. Marschner-Stiftung
Freunde und Förderer des Historischen Museums Frankfurt

Kooperationspartner:

Bürgerinstitut e.V.
Deutsches Filminstitut – DIF e.V.
Neurologisches Institut (Ludwig Edinger-Institut)
Sigmund-Freud-Institut
Schauspiel Frankfurt

Idee:

Jan Gerchow

HMF Ausstellungsbüro:

Kuratorin/Kurator: Jasmin Alley und Kurt Wettengl
Kontakt:
jasmin.alley[at]stadt-frankfurt.de / kurt.wettengl[at]stadt-frankfurt.de

Projektleitung: Jasmin Alley
Projektassistenz: Lisa Voigt
Kontakt:
lisa.voigt[at]stadt-frankfurt.de

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: David Barth
Kontakt:
david.barth[at]stadt-frankfurt.de